Auf unserem Weg von George Town nach Staniel Cay haben wir Ross kennen gelernt. Er ist alleine mit seinem super coolen Katamaran „Kohina“ unterwegs, weil seine Frau nach einem kurzen Besuch zuhause wegen Corona nicht mehr in die Bahamas einreisen darf. Wir hatten eine sehr schöne Zeit miteinander (Sailing up the Exumas). Und Ross hat halb im Scherz darauf hingewiesen, dass unser Mastbruch ja gut für unseren Blog wäre. Wahrscheinlich stimmt das, zu einer guten Geschichte gehört das Drama notwendig dazu. In diesem Sinne können wir nun ein weiteres Kapitel anfügen, auch wenn uns selbst ein langweiliger Blog lieber gewesen wäre.
Wie Helga schon berichtet hat, hatten wir uns schon vor ca. 3 Wochen auf die Transportlösung unseres Bootes mit einem Frachter festgelegt. Der Frachter fährt ab Palm Beach in den USA und daher musste ein Visum her. Ziemlich schnell haben wir herausgefunden, dass das normale ESTA-Verfahren für Einreisende mit einer Yacht nicht vorgesehen ist, sondern dass man ein richtiges Visum benötigt, welches in einer US Botschaft mit persönlichem Erscheinen ausgestellt wird. Die Botschaft in Nassau hat aber die Ausstellung von Visa wegen Corona eingestellt. Nun gut, wir sind ja keine normalen USA-Touristen, die das Land bereisen wollen, sondern wir befinden uns in einer Notlage und wollten die USA nur kurz betreten um unser Schiff auf den Frachter zu laden, da müsste doch ein normaler Mensch ein Einsehen haben. Aber da kommt das große Problem: Man bekommt keine Menschen mehr zu sprechen. Die Telefonate führen erst mal zu automatischen Maschinen, die einem verschiedene Menüs anbieten und nach Tastendruck weitere Informationen abspielen oder neue Menüs anbieten. Üblicherweise steht dann am Ende eines solchen Menüdurchgangs eine Ansage, die einen wiederum auf eine Webseite verweist, die die Informationen enthält, die man am Anfang des Prozesses in einer Stunde gefunden hatte. Nun kommt in einem nächsten Schritt der verzweifelte Versuch, sich so durch das Menü zu klicken, dass man irgendwann einen Menschen zu sprechen bekommt, auch wenn die eigenen Antworten im Menü nicht mehr ganz wahrheitsgemäß sind. Tatsächlich ist es mit viel Mühe möglich, irgendwann doch einen Menschen zu sprechen. Leider hat dieser lediglich die Funktion, einen wiederum auf die Webseite zu verweisen. Einen selbständig denkenden und handelnden Menschen konnten wir auf diese Art und Weise nicht finden. Irgendwann hatte ich dann eine Nummer der US-Botschaft, wo tatsächlich sofort jemand abnimmt und einen mit der Visaabteilung verbindet. Diese Menschen erklären einem dann, dass zurzeit wegen Corona keine Visa ausgestellt werden (welche Überraschung). Man muss dazu wissen, dass eine Einreise in die USA durchaus erlaubt ist, wenn man das Visum schon hat. Die Coronaeinschränkungen hier in den USA sind kaum zu spüren. Also wirkliche Angst vor Corona hat hier kaum einer. Mehrere Versuche, unsere Situation zu erklären, scheiterten daran, dass diese Menschen nicht einmal bereit waren, sich die Schilderung unserer Lage anzuhören bzw. geistig zu verarbeiten. Scheinbar bin ich nie über ein Callcenter mit „biologischen Antwortrobotern“ drüber hinaus gekommen. Als nächstes habe ich versucht, verantwortliche Menschen beim US Customs and Border Protection zu erreichen. Die einzelnen Ämter z.B. Palm Beach sind natürlich nicht zu erreichen. Statt dessen gibt es eine zentrale Nummer, wo man auch wieder an der Nase herum geführt wird. Die Dame, die ich schließlich nach vielen Versuchen am Hörer hatte, hatte als beste Idee wiederum eine Webseite, auf die ich mal schauen sollte. Als ich versuchen wollte zu erklären, warum mir das nicht weiterhilft, hat sie einfach aufgelegt. Das selbe Spiel kann man dann nochmal mit Emails machen. In der Regel bekommt man Einzeiler zurück, wo drin steht, dass es zurzeit leider keine Visa gibt (Überraschung!). Aber man könnte ja dennoch mal einen offiziellen Antrag stellen. In keiner einzigen Email wurden unsere länglichen Schilderungen unserer Lage irgendwie gewürdigt. Schließlich haben wir den offiziellen Antrag für einen Visatermin ausgefüllt. Wir wussten, dass wir den Visatermin nicht mehr pünktlich bekommen würden, hofften aber, dass es vielleicht möglich wäre, einen Termin in der Botschaft mit vernünftiger Begründung nach vorne zu verschieben. Die Kosten, um einen Interviewtermin zu beantragen, belaufen sich für uns beide auf 320 $. Außerdem muss online ein längliches Formular ausgefüllt werden. Einige der wenigen Informationen, die wir tatsächlich von den Damen bekommen haben, war, dass diese 320 $ auf jeden Fall fällig werden, ob wir einen Interviewtermin bekommen oder nicht. Ich hatte zu dem Zeitpunkt (vor ca. 8 Tagen) aufgegeben. Daraufhin hat Helga übernommen und versucht, dieses Onlineformular auszufüllen. Das Onlineformular ist derartig schlecht programmiert, dass es ca. alle 2 bis 3 Minuten abstürzt. Glücklicherweise kann man zwischendrin speichern. Leider stürzte die erste Seite immer ab, bis ich nach mehrstündiger Analyse herausgefunden habe, dass bestimmte Felder auf eine ganz bestimmte nicht offensichtliche Art und Weise ausgefüllt werden müssen. Die offensichtliche Art und Weise führt zu einem Absturz ohne Fehlermeldung. Der Absturz ist unabhängig vom benutzten Gerät und wird hundertfach von anderen verzweifelten Antragsstellern im Internet berichtet. Das Formular selber hatte einen Umfang, der eigentlich in zwei Stunden zu schaffen wäre. Aufgrund der häufigen Abstürze hat Helga incl. dem Upload der benötigten Fotos ca. 3 Tage gebraucht. Ein weiterer Tag ging dafür drauf, die 320$ zu bezahlen, was mit unserer normalen Kreditkarte nicht möglich war, und dann zu beantragen, den Termin zu verschieben. Für letzteres musste ein weiteres Onlineformular ausgefüllt werden. Der Lohn für die ganze Arbeit und das Geld war eine einzeilige Email, in der stand, dass es leider nicht möglich wäre, einen beschleunigten Termin zu bekommen.
Dann erreichten uns zwei Hinweise. Reinhard fragte, ob wir nicht mal mit der deutschen Botschaft sprechen sollten. Ich selber hielt das für nicht so vielversprechend. Ich ging davon aus, mich ebenfalls in ewigen Antwortschleifen zu verirren, und dann würde ich mit jemandem sprechen, der noch nicht mal eine Entscheidung treffen kann. Des weiteren erreichte uns eine Mail von einem Segler, den wir unterwegs getroffen hatten, und der von unserem Elend wusste (Ralf von der Flora: Danke nochmal!!!). Ralf wusste von Fällen, wo Segler einfach mit ESTA in die Amerikanischen Jungferninseln eingereist sind, und dort entweder mit einer Strafe von 585$ pro Person oder auch ganz ohne Strafe eine Visum erhalten haben. Nun habe ich doch versucht, einen Verantwortlichen auf deutscher Seite zu sprechen. Zu meinem Erstaunen hatte ich nach ganz kurzer Zeit sowohl den deutschen für die Bahamas verantwortlichen Botschafter in Jamaica als auch den deutschen Honorarkonsul in Nassau am Telefon. Beide haben zugehört und unser Problem verstanden. Alleine dadurch ging es mir nach den Telefonaten schon viel besser. Das waren richtige Menschen mit Empathie und einem klaren Geist. Leider konnten sie nicht wirklich helfen. Ihnen ist die amerikanische Bürokratie bekannt und sie sahen sich außerstande, da etwas zu bewegen. Jedoch hat der Honorarkonsul in Nassau von anderen Seglern berichtet, die ebenfalls nur mit ESTA und ohne Visum erfolgreich in die USA eingereist sind. Nun hatten wir von zwei Seiten die Anregung erhalten, illegal in die USA einzureisen und so sind wir vor 6 Tagen in Nassau aufgebrochen.
Die 180 Seemeilen von Nassau bis nach Palm Beach unter Motor waren unkompliziert. Sonntagabend sind wir hier schließlich angekommen.
Vorgestern haben wir uns dann ein bisschen aufgeregt zum Immigrationbüro aufgemacht. Das Büro am Hafen war wegen Corona geschlossen, sodass wir zum Flughafen mussten. Der Start war nicht so gut. Scheinbar muss man telefonisch oder per Internet einen Termin vereinbaren, selbst wenn man mit Visum einreisen möchte. Der Beamte kam schließlich hinter seinem Panzerglas hervor (das Büro war besser gepanzert als jede Bank in Deutschland), baute sich mit Wumme und schusssicherer Weste vor uns auf, und drohte uns mit Handschellen und/oder 5000 $ Strafe. Aber scheinbar wollte er sich nur wichtig machen. Als er dann erfahren hat, dass wir ganz ohne Visum da sind, wurde er ganz sachlich, fragte all die richtigen Fragen und hat das Problem verstanden. Somit hatten wir dann doch den ersten amerikanischen Beamten mit Empathie vor uns. Allerdings konnte er unseren Fall nicht selbst entscheiden, sondern musste mit seinem Vorgesetzten konferieren, der den ganzen Fall durch eine Securitykamera beobachtet hatte, wie aus einem Handytelefonat des Beamten klar wurde. Man ließ uns dann 2 Stunden warten. Schließlich wurde uns mitgeteilt, dass wir das Visum aufgrund des ESTA-Antrags mit einer Strafe von 585 $ pro Person erhalten würden. Er teilte mit, dass es keinesfalls gewährleistet ist, dass man so in die USA einreisen kann und dass es lediglich aufgrund ihrer Kulanz gehen würde. Das hat mich dann so beeindruckt, dass ich nicht mehr versucht habe, wegen der 585 $ zu diskutieren.
Letztlich haben wir also für den Preis von 1605 $ (Strafe + Gebühr, Gebühr für den nicht stattgefundenen Interviewtermin, Gebühr ESTA, Taxifahrt zum Flughafen) und ca. 3 Wochen vergebliche Telefonate, E‑Mails und Onlinezeugs eine Visum für jeden von uns für die USA bekommen. Manchmal hatte ich mich im Verlauf des vergangenen Jahres über Bürokratie und Gebühren in all den kleinen Ländern der Karibik geärgert, aber von nun an ist die USA meine absolute Nummer 1 auf der Liste der Bananenrepubliken.
Übrigens, von einem amerikanischen Seglerpärchen, dass wir in Spanien getroffen haben, hörten wir, dass Bürokratie und Einschränkungen für amerikanische Segler, die in die EU wollen, ähnlichen Umfang haben sollen.
Den Frachter von hier nach Ijmuiden haben wir heute gebucht, er legt am 8. Juni ab.
Ihr Lieben !
Hat das mit dem Verladen Eures Schiffes geklappt ? Wann seid Ihr denn wieder zurück ??
LG von Jörg und Magda
Ja, Verladen hat geklappt. Helga wird noch ein paar Fotos hochladen. Flug ist auch gebucht und Freitagmorgen werden wir in Frankfurt landen.
Ihr Lieben !
Ja das würde mich/uns auch interessieren, wie Ihr jetzt heimkommt… ?
Das ist ja ein fürchterliches Drama… Ich hab mir den Ablauf angekuckt in dem empfohlenen Asterixfilm.
Auch wenn das etwas blöd klingt: es kann aber schon sein, das durch dieses Unglück ein viel schlimmeres verhindert bzw vermieden wurde…?
Hier gibt es übrigens keinen entspannten Umgang mit dem Killervirus. Wir wünschen Euch eine glückliche Heimkehr und freuen uns Euch bald wiederzusehen…
LG von Jörg und Magda
Danke Ihr beiden!
Helga hat recherchiert, dass Flüge gehen. Wahrscheinlich fliegen wir mit Air Canada über Toronto nach Frankfurt. Wird schon klappen.
Ihr Lieben,
man hält es kaum für möglich aber die (Eure) Erfahrung zeigt, dass es immer noch eine Steigerung gibt.
In Teilen erinnern mich Eure Erlebnisse an die Asterix-Geschichte mit dem Haus, das Verrückte macht; der Passierschein A38 könnte genausogut ein Einreisevisum gewesen sein…
Gut, dass Ihr nicht aufgegeben habt.
Ich bin sicher, dass der Rest mit dem Schiffstransport und Eurer Rückreise besser klappen wird — da sind nicht mehr soviel Behörden im Spiel.
Kopf hoch, wir sehen uns bald wieder.
Liebe Grüße
Reinhard
Kannte ich nicht, passt gut: https://www.youtube.com/watch?v=wAoUNTRFgvM 🙂 Die Szene, wo Obelix ausrastet, gab es bei uns an Bord auch.
Das ist ja absolut unglaublich! Und was soll man dazu sagen, dass Ihr in den drei Wochen in dem langwierigen Prozess mit lauter Rückschlägen nur ganze drei empathische Menschen gesprochen habt — incredible! Dass es heutzutage soooo viel Bürokratie überall gibt… Aber nun: Ende gut, alles gut — welch eine glückliche Wendung! Fahrt Ihr denn auch mit dem Frachter? Dann jetzt noch möglichst entspannte Tage in Palm Beach!
Lots of love, Dagmar