Da sind wir also wie­der.

Am 23. April waren wir von Geor­ge Town auf­ge­bro­chen, um zu den Azo­ren zu segeln und am 01. Mai kamen wir ohne Rigg und ziem­lich erschüt­tert zurück an unse­ren alten Anker­platz vor Sto­cking Island.

Dabei lief alles ganz gut. Als wir die letz­ten Rif­fe von Gre­at Exu­ma hin­ter uns gelas­sen hat­ten, über­nahm Lisa das Steu­er und wir segel­ten mit mäßi­ger, abends mit fri­scher Bri­se nach Nord­os­ten. Lang­sam fiel die Anspan­nung der letz­ten Tage von uns ab, die immer mit der Vor­be­rei­tung einer gro­ßen Pas­sa­ge ver­bun­den ist. Wer kei­ne Wache hat­te schlief viel und lang­sam lös­ten sich die Gedan­ken von den Baha­mas und wan­der­ten vor­aus zu den Azo­ren, nach Euro­pa, wo es wie­der kühl und frisch sein wür­de, wo es Mari­nas geben wür­de, wo man rich­ti­ges Brot kau­fen und abends Piz­za essen gehen könn­te. Viel­leicht sogar irgend­wo wie­der ein­mal einen Capuc­ci­no trin­ken. Nach zwei Tagen war mei­ne anfäng­li­che Übel­keit ver­ges­sen, die SAI MANGALAM mach­te bei leich­tem Wind von etwa 12kt gute Fahrt und ich über­leg­te, ob ich nicht heu­te mal ein Brot backen soll­te, was auf See immer ein beson­de­rer Lecker­bis­sen ist. Frank hat­te sich in die Steu­er­bord-Ach­ter­ka­bi­ne zum Schla­fen hin­ge­legt und nach­dem ich in der Pflicht Kurs und Geschwin­dig­keit kon­trol­liert sowie rund­um Aus­schau gehal­ten hat­te, hol­te ich die gro­ße Schüs­sel her­vor und leg­te ein Päck­chen Hefe bereit.

Gera­de in die­sem Augen­blick hör­ten wir an Deck ein lau­tes Kra­chen. Fast gleich­zei­tig stürz­ten wir an Deck. Das gesam­te, etwa 15m hohe Rigg mit viel­leicht 60qm Segel­flä­che, wel­ches übli­cher­wei­se den Blick nach vor­ne bestimmt, war kom­plett ver­schwun­den, bzw. lag nach back­bord abge­knickt über die Bord­wand. Es war so ein Augen­blick in dem man nicht glaubt, was man sieht und die Welt auf­hört, sich zu dre­hen. Dann däm­mer­te mir lang­sam die Erkennt­nis, dass, wenn das wahr ist, was ich sehe, die nächs­ten Wochen und Mona­te voll­kom­men anders ver­lau­fen wer­den, als wir uns das je vor­ge­stellt hat­ten.

Dann ging es sofort los. Ich hat­te nur eine dif­fu­se Vor­stel­lung davon, was zu tun ist, wenn der Mast her­un­ter­ge­kom­men ist, näm­lich, dass man alles mög­lichst schnell vom Rumpf trennt und los wird, um wei­te­re Schä­den zu ver­mei­den. Zum Glück wuss­te Frank aber ganz genau, wie wir vor­ge­hen müs­sen. Er arbei­te­te ziel­ori­en­tiert und effi­zi­ent. Bis zum Ein­bruch der Dun­kel­heit blie­ben uns etwa fünf Stun­den. Frank lös­te die See­reling, auf der der Mast lag und schraub­te den Groß­baum los. Er trenn­te die elek­tri­schen Ver­bin­dun­gen, die unter Deck in den Mast führ­ten. Wir lös­ten Fal­len, Scho­ten und Reff­lei­nen. Ich hol­te Werk­zeu­ge und brach­te Klein­tei­le in Sicher­heit. Das geteil­te Acht­ers­tag hat­te das Bimi­ni nach back­bord hin durch­schnit­ten, bevor es von uns abge­trennt wur­de. Frank lös­te das Vors­tag mit Rollreff­an­la­ge vom Bug und schließ­lich den Mast­fuß vom Deck. Bevor das Rigg ganz ins Was­ser glitt, befes­tig­ten wir Lei­nen an Mast und Vors­tag. Als die Son­ne unter­ging, hin­gen Mast und Segel ein paar Meter unter dem Kiel im Was­ser.

Da die UKW-Anten­ne funk­ti­ons­un­fä­hig auf dem Mast­topp unter Was­ser schau­kel­te, schal­te­ten wir das UKW-Funk­ge­rät ab. Unse­re ein­zi­ge Ver­bin­dung nach außen beschränk­te sich nun auf Satel­li­ten-Funk über das Iri­di­um­Go!, mit dem wir aber immer­hin Wet­ter abru­fen und ein­fa­che Text-Emails ver­schi­cken konn­ten. Aus­ge­rech­net an die­sem Abend ver­wei­ger­te der PC sei­ne Mit­ar­beit und Frank brauch­te eini­ge Über­re­dungs­küns­te, um ihn zur Koope­ra­ti­on zu bewe­gen. Falls wir die Situa­ti­on nicht allei­ne meis­tern wür­den, könn­ten wir also per Email das nächs­te MRCC (Mari­ti­me Res­cue Coor­di­na­ti­on Cen­ter) infor­mie­ren (was aber kei­nem offi­zi­el­len Not­ruf ent­spricht) oder die EPIRB (Not­ruf­bo­je) aus­lö­sen (was Teil des Glo­bal Mari­ti­me Dis­tress and Safe­ty Sys­tem GMDSS ist, somit also ein ech­ter Not­ruf wäre). Rein­hard ver­sorg­te uns per Email mit hilf­rei­chen Infor­ma­tio­nen und auch Mari­an bot Unter­stüt­zung an. Da wir in Kon­takt mit Trans-Oce­an e.V. waren, mel­de­te sich von dort Astrid, eine kom­pe­ten­te und erfah­re­ne Seg­le­rin, die für uns als Ansprech­part­ne­rin zur Ver­fü­gung ste­hen wür­de. Die­se Emails da drau­ßen auf dem wei­ten Oze­an habe ich als sehr tröst­lich emp­fun­den. Ich dan­ke Euch dafür, wir waren nicht allein.

In der Nacht hiel­ten wir in kur­zen Abstän­den von 12Min Aus­schau nach Schif­fen. AIS funk­tio­niert ja über UKW und ohne UKW waren wir für vor­bei­fah­ren­de Schif­fe prak­tisch unsicht­bar. Zwar hat­ten wir den gro­ßen Radar­re­flek­tor zusam­men­ge­baut und ins Bimi­ni gehängt, aber als ein gro­ßer Frach­ter ziem­lich nah kam, star­te­ten wir den Motor, um not­falls ‑trotz unse­res Rie­sen-See­an­kers unter dem Kiel- wenigs­tens etwas zur Sei­te fah­ren zu kön­nen.

Am nächs­ten Mor­gen waren wir früh drau­ßen, um die küh­le­ren Stun­den für die Arbeit an Deck zu nut­zen. Der Plan war, mög­lichst noch die bei­den Segel sowie die UKW-Anten­ne zu ret­ten. Zunächst zogen wir das Vors­tag mit der Rollreff­an­la­ge über das Vor­deck und lös­ten die Genua unten am Segel­hals. Dum­mer­wei­se ver­säum­ten wir es, die Genu­a­schot an Deck zu befes­ti­gen. Das Segel rut­sche aus der Nut und wir konn­ten nur noch geschockt zuse­hen, wie es im blau­en Was­ser ver­sank. Nun blieb nur noch die Opti­on, das Groß­se­gel zu ber­gen. Frank tauch­te und befes­tig­te eine Lei­ne auf Höhe des Radars am Mast und über die Winsch zogen wir den Mast längs­seits an die Was­ser­ober­flä­che. Jetzt waren wir vor­sich­ti­ger und befes­tig­ten als ers­tes eine Sicher­heits­lei­ne vom Groß­se­gel auf einer Klam­pe. An die­sem Tag bau­ten sich deut­lich mehr Wel­len auf als am Tag zuvor, das Schiff lag quer zur Wel­le und schau­kel­te von links nach rechts. Sowohl die Arbeit an Deck als auch im Was­ser war schwie­rig. Aber ohne das Groß­se­gel wür­den wir aus eige­ner Kraft kein Land mehr errei­chen kön­nen. Das Groß läuft mit Rut­schern in einer Schie­ne im Mast. Eine Reff­lei­ne hat­te sich aller­dings in die­ser Schie­ne ver­klemmt und blo­ckier­te das Her­aus­rut­schen. Mit einem Schrau­ben­zie­her lös­te Frank ‑im Was­ser schwim­mend- die ein­ge­klemm­te Lei­ne und schnitt sie ab. Und oh Wun­der – die Reff­lei­ne lies sich nun von mir nach oben her­aus zie­hen. Mit einer zwei­ten Lei­ne gesi­chert, rutsch­te nun das Groß­se­gel aus der Nut und wir konn­ten es auf das Vor­deck zie­hen. Nach­dem das Groß, von Segel­l­at­ten befreit, sicher im Salon lag, ging es an die nächs­te gro­ße Her­aus­for­de­rung: Die UKW-Anten­ne vom Mast­topp zu demon­tie­ren. Wir zogen den Mast über die Win­schen in eine bes­se­re Posi­ti­on und Frank ver­such­te, die Anten­ne im Was­ser abzu­schrau­ben. Durch den See­gang hat­te sich der Mast mit sei­nen spit­zen Auf­bau­ten aber in ein schla­gen­des Mons­ter ver­wan­delt. Sich ihm zu nähern, war schwie­rig und ris­kant. In der Hoff­nung, dass es unter Was­ser leich­ter sein wür­de als an der Ober­flä­che, senk­ten wir die Spit­ze wie­der etwa einen Meter ab. Da Frank inzwi­schen eini­ge klei­ne­re Ver­let­zun­gen davon getra­gen hat­te, hielt ich vom Cock­pit aus Aus­schau nach Hai­en. Er arbei­tet uner­müd­lich und tat­säch­lich gelang es ihm schließ­lich die UKW-Anten­ne abzu­schrau­ben. Frank lös­te im Was­ser noch zwei lan­ge, gute Lei­nen vom Mast und um 12:00 Uhr warf ich die letz­te Lei­ne an Deck los und unser Mast ver­sank im tief­blau­en Oze­an.

Erschöpft und zer­schun­den frag­ten wir uns, wann wir auf­wa­chen wür­den und alles war nur ein Traum. Mir war nicht klar, ob es uns gelin­gen wür­de, ein Notrigg zu bau­en und nach San Sal­va­dor zu segeln. Wie soll­te es danach wei­ter gehen? Unter Deck herrsch­te Cha­os, das Groß lag im Salon, auf und vor dem Bett in der Vor­der­ka­bi­ne lagen das abge­bau­te Solar­pa­neel, der Baum­nie­der­ho­ler, die geret­te­te Fur­lex, Müll­beu­tel und kaput­te Segel­l­at­ten (kann das sein, dass sich da Glas­fa­sern ablö­sen, die dann in den Fin­gern ste­cken?) und alles kleb­te, weil Stof­fe die mit Meer­was­ser in Berüh­rung gekom­men sind nie wie­der rich­tig tro­cken wer­den. Das Cha­os gab mir den Rest.

Früh am nächs­ten Tag waren wir wie­der drau­ßen. Frank hat­te einen Plan im Kopf und bau­te aus dem Genua-Tele­skop­baum ein Rigg. Mit der ehe­ma­li­ge Groß­schot spann­ten wir den Mast auf die Mit­tel­klam­pen ab und rich­te­ten ihn mit der gel­ben, lan­gen Genu­a­schot über eine Rol­le am Bug vom Cock­pit her auf. Wir zogen das Groß­se­gel über ein Fall im Cock­pit hoch und hol­ten die neue Schot dicht. Und – es funk­tio­nier­te! Zwar zunächst nur mit Wind von hin­ten, aber wir segel­ten!

Da die Wind­rich­tung an die­sem Tag ungüns­tig war, motor­ten wir zunächst eini­ge Stun­den, auch um den tat­säch­li­chen Ver­brauch zu beob­ach­ten. Wir wür­den etwa 200sm mit dem Motor fah­ren kön­nen, das nächs­te Land war die zu den Baha­mas gehö­ren­de Insel San Sal­va­dor in 260sm Ent­fer­nung. Das müss­te doch zu schaf­fen sein.

In der Nacht dreh­te der Wind auf Ost und wir segel­ten los, immer Rich­tung Süd­wes­ten. Über die geret­te­te UKW-Anten­ne hat­ten wir wie­der AIS, wenn auch nur eine Reich­wei­te von 2 oder 2,5sm. In den nächs­ten zwei Tagen segel­ten wir über 200sm mit dem Notrigg. Es erfuhr wäh­rend des­sen eini­ge Umbau­ten und Ver­bes­se­run­gen. Als wir das Segel schließ­lich am Vors­tag als Vor­se­gel setz­ten, konn­ten wir sogar mit hal­bem Wind fah­ren. Bei Wind­stär­ke 5 bis 6 rausch­ten wir mit über 5kt dahin. Weil es so gut lief, beschlos­sen wir, an San Sal­va­dor vor­bei zu fah­ren und Geor­ge Town direkt anzu­steu­ern. Genau zu die­sem Zeit­punkt kam plötz­lich von der Solar­an­la­ge kein Strom mehr in den Akkus an. Nach einer ner­vi­gen Feh­ler­su­che fand Frank eine kor­ro­dier­te (see­was­ser­fes­te!) Ste­cker­ver­bin­dung, die er neu ver­ka­bel­te. Da inzwi­schen der Wind wei­ter gedreht hat­te, muss­ten wir dann noch die letz­ten 20 Stun­den moto­ren.

Und jetzt sind wir also wie­der da. Wir lie­gen wie­der genau am glei­chen Anker­platz vor der Sand Dol­lar Beach und unse­re Nach­barn Renee und Dave, mit denen wir noch letz­te Woche das schö­ne Del­fin-Erleb­nis geteilt hat­ten, haben uns an Bord ihres Kata­marans ALEGRIA sofort mit einem Hot­spot und einem eis­kal­ten Bier ver­sorgt. Rus­tin, der Engel der boaters hier in Eliza­beth Har­bour hat es tat­säch­lich geschafft, uns noch am glei­chen Tag, Frei­tag, eine SIM-Kar­te zu besor­gen. Am Wochen­en­de ist in den Baha­mas kom­plet­te Aus­gangs­sper­re, da wäre wohl gar nichts mehr gelau­fen. Auch die Seg­ler-Com­mu­ni­ty hat uns über Funk begrüsst und Hil­fe ange­bo­ten.

Doch wie soll es nun über­haupt wei­ter gehen?

In den letz­ten Tagen haben wir eini­ge Mög­lich­kei­ten durch­dacht.

Ich muss ja am 1. Juli an mei­nem Arbeits­platz erschei­nen. Das lässt es fast nicht zu, ein neu­es Rigg hier vor Ort zu besor­gen und dann mit der SAI MANGALAM noch rüber zu segeln. Aber wir wer­den die­se Mög­lich­keit prü­fen. Ein Schwei­zer Seg­ler, der letz­te Woche noch hier lag, schickt sei­ne Jacht mit einem Frach­ter von Flo­ri­da nach Sout­hamp­ton. Er selbst segelt auf einer ande­ren Segel­jacht mit. Auch das wer­den wir che­cken, evtl. mit der Vari­an­te, dass wir zurück flie­gen. Ein Schiff im Moment zu ver­kau­fen, ist in Zei­ten von Coro­na fast unmög­lich und ohne Mast erst recht. So oder so beginnt hier in vier Wochen die Hur­ri­kan-Sai­son, dann soll­te man mög­lichst schon weg sein.

Noch sind das alles lose Enden und eine Lösung zeich­net sich nicht ab. Wir sind erst ein­mal froh, die schwie­ri­gen Situa­ti­on über­stan­den zu haben und füh­len uns in Geor­ge Town gut auf­ge­ho­ben. Alles Wei­te­re wird sich zei­gen. Wir dan­ken Euch allen, die Ihr an uns gedacht, für uns gebe­tet und uns mit Euren Emails, Whats­Apps und Kom­men­ta­ren gezeigt habt, dass wir nicht allei­ne sind!

3 Kommentare
  1. Ross Mann
    Ross Mann sagte:

    That is a very impres­si­ve sto­ry of excel­lent sea­manship. Most would have decla­red an emer­gen­cy and cal­led for a res­cue. Ins­tead the two of you mana­ged to ‘res­cue your­sel­ves’.

    That took a lot of deter­mi­na­ti­on, skill and per­se­ver­an­ce. Well done!
    Ross

    Antworten
  2. Jörg Eisele
    Jörg Eisele sagte:

    Lie­ber Frank, lie­be Hel­ga !
    Oh Je .. das tut mir sehr Leid… Glück im Unglück, daß Ihr unver­sehrt seid und das gan­ze nicht mit­ten auf der Pas­sa­ge pas­siert ist. Wenn wir irgend­was tun könn­ten ?
    Wir den­ken an Euch und beten, daß sich die gute Lösung fin­den wird.
    Ganz herz­li­che Grü­ße von Jörg und Mag­da

    Antworten

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