Heute kommt eine Misserfolgsstory. Ist mir peinlich, aber es glaubt ja kein Mensch, wenn immer alles gut geht. 🙂
Nachdem wir uns ein paar Tage von der Überfahrt erholt hatten und St. George’s und die nähere Umgebung erkundet hatten, wollten wir mal richtig von der Insel etwas sehen. Ich selber hatte noch nie einen unberührten Regenwald gesehen, Helga war mal vor ca. 30 Jahren in Australien in einem Regenwald. Ca. 15% der Insel sind mit unberührtem Dschungel bedeckt. Ursprünglich wollten wir nur mit dem Taxi hoch zu einem Kratersee am Rand des Dschungels fahren (Grand Etang Lake) und von dort ca. 1km durch den Dschungel auf einen Berg und wieder zurück gehen. Doch dann habe ich auf Mapsme einen Pfad entdeckt der durch den Dschungel hindurch führt. Er beginnt an dem Kratersee, führt an dem besagten Berg (Mount Qua Qua) vorbei und geht dann ziemlich bergab an zwei schönen Wasserfällen vorbei in ein anderes Tal. Insgesamt sind es ca. 5,7km bis zu einer Straße, wo wieder Taxis fahren. Wir dachten, es wäre ein schöner Spaziergang für den Nachmittag und dachten, dass wir mit 4 Stunden dafür ein reichliches Zeitpolster hätten (ich dachte das, Helga kann nichts dafür). Der Dschungel war dann auch sehr eindrucksvoll, soviel Lebenskraft, unglaublich. Grün, grün, grün, genau das richtige für Helga. Und alles war sehr nass. Auf 700m Höhe war es ziemlich bedeckt und teilweise neblig. Die 30°, die wir hier unten haben, gab es dort nicht mehr. Ausgerüstet waren wir lediglich mit einer Flasche Wasser, Badesachen ohne Handtuch und einem Fotoapparat. Ansonsten hatten wir jeder ein T‑Shirt an und eine kurze Hose und halbwegs festes Schuhwerk. Für einen Nachmittagsspaziergang von 5km ist das doch ok, oder? Der Weg war sehr schlecht, sodass wir langsamer voran gekommen sind, als gedacht. Es gab sehr steile An- und Abstiege. Der Weg war voller Schlamm, sodass unsere Schuhe schließlich komplett verdreckt waren. Dennoch haben wir immer noch ca. 1,5km pro Stunde geschafft. Je weiter wir nun in das Tal hinab stiegen, desto schlechter wurde der Weg. Teilweise verlief der Weg im Flussbett und man balancierte von Stein zu Stein, die dann ziemlich glitschig waren. Also eine schöne Naturerfahrung war es auf jeden Fall. Außer uns gab es keine Menschen und es gab keinen Mobilfunkempfang mehr. Natur 98% und Kultur 2% (wegen des Weges). Leider wurde der Weg nicht nur noch schlechter, sodass wir zum Ende hin eher 1km pro Stunde schafften, sondern es wurde auch immer schwieriger, dem Weg überhaupt zu folgen. Schließlich haben wir irgendwann den Abzweig verpasst, wo der Weg den Flusslauf wieder verlassen hat und wir standen am oberen Ende eines Wasserfalls und weit und breit war kein Weg zu sehen. Die Zeit wurde nun schon eng. Wir haben uns dann tatsächlich durch den Dschungel geschlagen und nach vielleicht einer weiteren Stunde den Weg am Fuße des Wasserfalls wieder entdeckt. Kurz vor dem letzten Wasserfall, bevor die Zivilisation wieder anfing, haben wir den Weg wieder verloren. Obwohl die Zeit nun schon sehr knapp bis zur Dunkelheit war, haben wir mit den guten Erfahrungen vom letzten Mal versucht, auch diesen Wasserfall quer durch den Dschungel zu umgehen. Um zurück zu gehen, war es sowieso schon viel zu spät. Leider hat das dann nicht mehr so gut geklappt. Wir waren inzwischen von Kopf bis Fuß mit Schlamm eingesaut, weil das Vorwärtskommen steile Berge hinauf und hinab nur noch mit kompletten Körpereinsatz möglich war. Helga war sehr tapfer. Schließlich waren es nur noch ca. 150m Luftlinie bis zum Fuße des Wasserfalls, aber wir waren mitten im Dschungel (100% Natur und 0% Kultur). Mit 20 Minuten bis zum Dunkelwerden haben wir uns so schnell wie möglich weiter gekämpft. Jedoch eine der Schlingpflanzen, die ständig im Weg hingen, hat mir in der Hektik die Brille von der Nase gerissen. Die Brille war nicht ganz billig und ohne Brille konnte ich sowieso nicht mehr voran gehen, so haben wir im letzten Licht versucht, die Brille wiederzufinden – vergeblich. Schließlich ist die Sonne untergegangen und wir konnten keinen Schritt mehr weiter gehen. Der Regenwald ist nachts stockfinster, es war beinahe Neumond. Wir waren auf einem ziemlich steilen Hang und mit den letzten Strahlen haben wir eine Stelle gesucht, die es uns erlaubte, uns wenigstens hinzusetzen ohne Angst zu haben, den Berg hinunter zu rutschen. Am meisten Sorge hatte ich, dass nun in der Dämmerung und in der Dunkelheit die Mücken kommen, um uns zu verspeisen. Zum Glück war dem nicht so. Vielleicht lag es an der Höhe von immer noch 500m. Noch war uns relativ warm und so machten wir uns bereit, die längste Nacht des Jahres (22. Dezember) im Dschungel zu überstehen. Es war zwar alles nass und es heißt ja auch Regenwald, aber bisher hat es den ganzen Nachmittag nicht geregnet. Mit Einbruch der Dunkelheit kam dann aber der Regen. Und mit dem Regen kam die Kälte. Wir haben uns so eng wie möglich aneinander geklammert, um Wärme zu sparen. Aber es wurde für uns beide die kälteste und schlimmste Nacht unseres Lebens. Insgesamt hat es ungefähr 6 Stunden der 12 Stunden Dunkelheit geregnet. Wir waren bis auf die Haut nass und haben gefroren, wie nie zuvor. Wir hatten eine ganz kleine Plastiktüte mit Klopapier dabei. Da haben wir unsere Handys hinein getan, um sie zu retten zu versuchen. Im Rucksack drinnen stand schon das Wasser. Helga hat eine gute Kameratasche und hat versucht, die ganze Nacht die teure Kamera zu schützen. Die Stunden gingen sehr langsam dahin, wir wissen nicht, ob wir geschlafen haben. Vielleicht mal ein paar Minuten, als es nicht geregnet hat. Schließlich wurde es doch irgendwann hell und die Nacht war vorbei. Als erstes haben wir uns eine Stunde Zeit genommen, um die Brille zu suchen – leider wieder vergeblich. Ein paar Meter unterhalb gab es einen senkrechten Felsen, wo wir nicht hinunter konnten. Vermutlich ist die Brille da hinunter geflogen. Schließlich haben wir aufgegeben und Helga war ab da Pfadfinder. Ich bin halbblind zwei drei Meter hinterher geklettert. Es wurde noch abenteuerlicher, immer wieder mussten wir senkrechte Felsen umgehen. Oft haben wir uns an den Schlingpflanzen abgeseilt um dann ein paar Meter durch den Schlamm zum nächsten Baum zu rutschen. Schließlich nach ca. 1,5 Stunden haben wir das untere Ende des Wasserfalls und damit wieder den Weg erreicht. Wir hatten Schlamm in jedem Kleidungsstück und in den Haaren. Ein paar hundert Meter weiter, kurz bevor die Straße begann, haben wir schließlich alle Kleidungsstücke und uns selbst im Fluss gewaschen, in der Hoffnung uns soweit aufzupeppen, dass wir wenigstens wieder Taxi fahren konnten. Vollkommen durchgeweicht waren wir ja sowieso schon. Und schließlich sind uns auch die ersten Wanderer entgegen gekommen. Die hatten klugerweise einen Guide dabei und Gummistiefel an. Schließlich haben wir die Straße erreicht, einen Kaffee getrunken, auf ein Taxi gewartet und uns den neugierigen Fragen der Einheimischen gestellt. Die waren allerdings relativ entspannt. Das kommt so alle 2 Monate vor, dass sich irgendwelche Touristen im Busch verlaufen und dort übernachten müssen. Bisher seien alle noch wieder lebend heraus gekommen. Also, wer Wert auf Sicherheit legt, soll sich lieber ein schönes Boot kaufen und über die Weltmeere segeln anstatt wandern zu gehen – oder einen Guide nehmen. 🙂 Helgas Kamera hat es zum Glück überlebt. Leider gab es dennoch einen weiteren Schaden. Bei den Rutschpartien hat der Bildschirm meines Handys einen Schlag bekommen und ist nun unbrauchbar. Bis Ende Januar, wenn ich hoffentlich einen neuen Bildschirm aus Deutschland erhalte, bin ich daher per Whatsapp nicht zu erreichen. Wer mir etwas schicken möchte, muss das bitte an Helga schicken. Seit dem 24. Dezember kann ich keine Nachrichten mehr empfangen.
Nun ein komplett neues Thema: Weihnachten in der Karibik. So ganz neu ist uns dass nicht, da wir schon viele Weihnachten in Indien bei 25° erlebt haben. Wir sind nachmittags an einen schönen Strand hier in der Nähe gegangen, haben schön gebadet und in den Sonnenuntergang geschaut. In der Nähe hatten wir eine Strandbar herausgesucht, die auch vegane Gerichte auf der Karte hat. Es war alles smooth und lecker. Der Strand war ziemlich voll und das Restaurant war komplett voll. Überall läuft karibische Weihnachtsmusik im Reggie-Stil. Weihnachten ist erst mal für die Einheimischen eine große Party. Am heiligen Abend haben die Geschäfte und Supermärkte auf (Sonntags dagegen nie!). Uns hat es gefallen, karibisches Flair und gutes Essen. Am Samstag zuvor sind wir in St. George’s gerade in dem Moment an der Kathedrale (eigentlich nur eine große Kirche) gewesen, als der Abendgottesdienst begann. Ruck zuck wurden wir eingeladen, obwohl wir wieder mal nicht angemessen gekleidet waren. Es war ein schöner Gottesdienst und so sind wir am heiligen Abend gegen 23:00 Uhr zur Christmette gegangen. Der Busfahrer machte noch Sprüche, weil wir an der Kirche aussteigen wollten, ob wir denn zum „Prayer“ wollten. Das fanden wir eine witzige Idee, dass man zum „Prayer“ in die Kirche geht und nicht nur, weil einfach Weihnachten ist. Tatsächlich war die Kirche an Heiligabend nicht wesentlich voller als am Samstag zuvor, also die Heiligabend-Kirche-gehen-Kultur wie bei uns gibt es hier nicht. Man könnte nun bei einem karibischen Gottesdienst an tanzende Schwarze im Stil von Sisteract denken. Tatsächlich war es auf dem halben Weg dahin. Es wurde mehr und besser gesungen als in einem deutschen Gottesdienst und es wurde auch etwas getanzt, und die Priester und der Bischof waren erheblich lockerer. Das Highlight war das „Zeichen des Friedens“. Ich selber mag das eigentlich nicht, aber hier ist es ein kompletter Programmpunkt. Während der Dauer von ein oder zwei Chorälen gibt jeder mindestens 30 Leuten die Hand, man kann quer durch die Kirche zu jeder Person gehen, der man die Hand schütteln möchte, und auch der Bischof geht herum und hat uns begrüßt. Die Menschen tanzten fast zum Rhythmus der schmissigen Lieder. Die Predigt war sehr eindrucksvoll. Der Bischof hat es irgendwie geschafft, aus Jesu Geburt abzuleiten, dass das Göttliche in jedem Menschen residiert. Und nicht nur das, es sei sogar in den Tieren und Pflanzen. Hört hört!
Om Sai Ram Ihr Lieben,
nun liegen diese besonderen Ereignisse schon eine Weile hinter Euch — Weihnachten ist vorbei, das neue Jahr hat begonnen und Ihr seid zu neuen Ufern vorgedrungen! So wünsche ich Euch nun für 2020 alles Gute für eine glückliche und segensreiche weitere Reise mit interessanten Entdeckungen und berührenden Erlebnissen, Eindrücken und Begegnungen!
Herzliche Grüße aus dem fernen Binnenland, Dagmar
Oh je, ich hörte die Mücken schon so richtig schwirren. Wie gut, dass euer Blut wohl nicht eben der Leckerbissen für sie war auf den sie gewartet hatten.
Von ganzem Herzen wünsche ich euch auch für 2020 ein spannendes und vor allem ein gesundes Jahr .
OmSaiRam evelyn
Lieber Frank, liebe Helga,
Wie gut, ihr dass ihr an Leib und Seele unbeschadet aus dem Dschungel zurückgekommen seid! Der abenteuerliche Geist kommt bestimmt von einer Seite auch von Manfred. Ich habe ihm heute am Neujahrstag vorgelesen, was ihr alles erlebt habt, und er hat sich an einige Wandertouren in den Alpen mit beiden Söhnen erinnert, zwar nicht mehr so genau, aber ein kleines keckes Funkeln war kurz in seinen Augen zu sehen. Und er staunt und ist ganz stolz auf eure tollkühnen Touren.
Manfred und ich wünschen euch alles Gute für das neue Jahr 2020! Viele Begegnungen mit Menschen und der beseelten Natur und dass das Glück euch weiter begleite!
Manfred und Doris
Lieber Frank, dein „hört hört“ fordert mich zu einer kurzen Stellungnahme heraus. Der Gedanke, das Göttliche im Menschen zu finden, ist nicht allein ein weihnachtlicher Geistesblitz des Bischofs der St-George‘s Kathedrale, sondern in vielen Religionen weit verbreitet.
In der Bibel sind immer wieder, wenn auch mit etwas anderen Worten, ähnliche Wendungen zu finden, z.B. nach meinem (göttl) Antlitz, Kinder Gottes…usw. Der jüdische Philosoph Martin Buber spricht vom Blick für die Heiligkeit anderer Menschen, welchen man — auch ohne Religion -
durch die Demut angesichts der Endlichkeit der eigenen Existenz, und die Dankbarkeit über die Anwesenheit (der) des Anderen entwickeln kann.
Zu Pflanzen und Tieren, die der Bischof ja miteinschloss, sei gesagt, das sogar der „gläubige Atheist “ Stephen Hawking, trotz Anerkennung der Urknall-Theorie der Überzeugung ist, das die Naturgesetze göttlichen Prinzipien folgen müssen.…
Vielleicht vertiefen wir das mal zu Hause.…😊
Deine Schilderung der Nacht im Regenwald liest sich wie ein Krimi.…
Wir sind heilfroh, dass ihr den Naturgesetzen des Dschungels entkommen seid, und das n u r Materialschäden entstanden sind, wenn auch der Verlust der Brille schlimm ist! Karibische Nächte haben wir uns anders vorgestellt.…
Die bunten Bilder sprechen für sich, und da ihr erst am Anfang dieser vielversprechenden Etappe seid, kann es nur besser werden.
Wir wünschen euch und eurem Besuch aus der Heimat einen karibisch-fröhlichen Jahreswechsel und einen guten Start ins Neue Jahr!
Und freuen uns schon auf euren nächsten Beitrag… ganz herzliche Grüße, auch von Matthias, Birgitt
Liebe Birgitt,
ich gebe Dir vollkommen recht. Dass das Göttliche der gesamten Schöpfung samt Menschen, Tieren und Pflanzen innewohnt ist fester Bestandteil vieler Religionen und Grundlage der meisten (oder aller?) spirituellen Traditionen. Mit dem flapsigen “hört hört!” wollte Frank unsere Überraschung und Freude darüber ausdrücken, dass man sich nun auch in der katholischen Kirche dieser Wahrheit bewusst wird. Oftmals wird “Gott” ja in den traditionellen Kirchen als eine außerhalb vom gewöhnlichen Menschen stehende Autorität dargestellt. Uns hat jedenfalls dieser fröhliche Gottesdienst und die Predigt, die den Blick ein wenig über den Tellerrand hinweg erhebt, sehr gut gefallen.
Was die Nacht im Regenwald betrifft, sind inzwischen die meisten Schrammen verheilt und erkältet haben wir uns wohl auch nicht. Nun sind wir auf dem Weg nach Norden, um übermorgen Reinhard auf St. Vincent zu treffen.
Herzliche Grüße von der SAI MANGALAM
Helga