389 Seemeilen liegen seit den Kapverden jetzt hinter uns, 1786 Seemeilen liegen bis Grenada vor uns. Soweit läuft alles nach Plan. Der Start war ein bisschen holperig. So schön, wie unsere Wanderung auf der Insel Santo Antao war, so nervig war der Windschatten der ca. 1200m hohen Insel. Wir sind extra einen relativ großen Bogen südlich um die Insel gefahren, aber das war zwecklos. Der Windschatten reicht bis zu 50 Seemeilen hinaus. Nach ca. 12 Stunden waren wir durch den Windschatten durch und dann zeigte sich der Atlantik zur Belohnung von seiner besten Seite: 3–4 Windstärken halber Wind und so gut wie keine Welle. Seit langer Zeit konnten wir wieder mal das Großsegel setzen und mit Vollzeug sind wir hinaus auf den Atlantik gerauscht. Allerdings war es nach einem Tag vorbei und der Passat drehte auf seine typische Stärke von 4–5 Windstärken auf, letzte Nacht dann wieder 5–6 Windstärken. Und natürlich drehte der Wind, sodass er jetzt wie immer nahezu von hinten kommt. So ist das Großsegel wieder weggepackt und mit ausgebaumter Genua, mal mehr mal weniger reduziert, fahren wir mit unseren üblichen 5 – 6 Knoten dahin. Der Plan ist, nach insgesamt 17 Tagen in Grenada anzukommen, immer vorausgesetzt, wir bekommen keine ernsthafte Flaute und können die 5 Knoten halten, die wir uns als Ziel gesetzt haben. Wenn der Wind nachts nachlässt und wir langsamer als 5 Knoten werden, akzeptieren wir das. Aber morgens, wenn wir dann beide wach sind, wird vor dem Frühstück noch umgebaut, bis wir wieder schneller als 5 Knoten sind.
Die Überfahrt fühlt sich anders an, als sonst, wenn wir nur ca. 6 Tage unterwegs waren. Das Ende war bisher immer absehbar und im Grunde genommen war der Geist dann schon am Ziel. Hier wird das Unterwegs sein eher eine Lebensform. Der Geist ist mehr im hier und jetzt, das Ziel ist noch zu weit, um vorauszuplanen. Helga liest ein schönes spirituelles Buch aus Findhorn und ist ganz glücklich und eingetaucht in den Geist des Meeres und des Windes.
Hier draußen sind so gut wie keine Schiffe mehr. Etwa einmal am Tag hört man andere Segler am Funk sprechen, immer außerhalb der Sichtweite. So beginnen sich langsam Zweifel einzustellen, ob man nachts wirklich alle 20 Minuten aufstehen soll und einen Blick in die Runde und auf das AIS werfen soll. Allerdings so unglaublich das ist, die wenigen Begegnungen, die wir hatten, waren dann tatsächlich Beinahetreffer: Vorletzte Nacht fuhren wir genau auf ein von Fischern ausgesetztes Gerät zu. Es war nicht beleuchtet, aber auf dem AIS zu sehen. Helga musste ausweichen. Und letzte Nacht hat Helga tatsächlich einen Frachter angefunkt, mit dem wir auf Kollisionskurs lagen, und ihn freundlich gefragt, ob er nicht gedenkt auszuweichen, was er dann ebenso freundlich gemacht hat. Also an andere Segler: auch mitten im Atlantik ordentlich Wache gehen!
Eine gute Nachricht ist, dass die fliegenden Fische hier scheinbar klüger sind als nördlich der Kanaren. Bisher sind in 3 Nächten nur 3 kleine Fische auf unserem Deck gelandet. Na vermutlich fliegen sie bei weniger Wind einfach nur weniger in der Gegend herum.
Das Bordleben ist in zweifacher Hinsicht anstrengend: zum einen ist es ermüdend, nie mal 6 Stunden am Stück schlafen zu können. Mal schauen, wie wir das in 2 Wochen sehen, ob wir uns dann dran gewöhnt haben oder ob wir dann völlig erschöpft sind. Zum anderen ist es so mühsam, wenn das Prinzip „Tisch“ keine Gültigkeit mehr hat. Das Prinzip „Tisch“ besagt im normalen Leben, dass ein Gegenstand, den man irgendwo ablegt, auch nach 2 Minuten noch am entsprechenden Platz zu finden ist. Helga hat eine Engelsgeduld in der Küche. Das Kochen dauert zwar alles länger als an Land oder im Hafen, aber das Ergebnis ist genauso lecker! Nun zeigt sich auch, ob Helgas Vorratsplanung funktioniert. Noch gibt es regelmäßig frische Sachen, aber die ersten Vorräte, die dennoch vergammelt sind, sind schon über Bord geflogen.
Die Strombilanz zeigt pro Tag etwa 10 Ah Verlust an. Genauso war es auch bei den anderen Überfahrten. Allerdings konnten wir das dort 6 Tage durchhalten und dann gab es im Hafen wieder Landstrom oder in der Ankerbucht einen erheblich reduzierten Verbrauch. 17 Tage können wir das jedoch nicht durchhalten. Und so planen wir, wenn die frischen Sachen im Kühlschrank alle aufgegessen sind, den Kühlschrank ab und zu mal einen Tag auszuschalten. Damit müsste es dann gehen.
Das hört sich nach einer riesigen Bewährungsprobe an — ich stelle es mir überhaupt nicht leicht vor, all diese Herausforderungen auszuhalten, nicht zu schlafen, seit Wochen keinen festen Halt zu haben, sich ums Schiff zu sorgen… Ihr seid sehr tapfer! Immerhin nähert Ihr euch Eurem Ziel deutlich, wie die Reiseroute zeigt. Also weiter gutes Durchhalten bis zum glücklichen Ankommen!.
Was ich mich nur frage ist, ob nicht andere Atlanktiküberquerer schon Ähnliches geschildert haben. Ich hatte so die schöne Vorstellung, das Ihr gut vorankommt, zwar mit einigen Wellen und Krängung aber nicht mit solch einer Schaukelei.
Dann weiterhin das Allerbeste! LG Dagmar
Is ja spannend, auf dem großen Teich plötzlich nicht mehr weiter zu kommen.
Erstaunlich, dass da immer noch so “viele” Menschen unterwegs sind. Fühlst Du Dich nicht so einsam. Haha.
Wunderbar eigentlich, wie unsere
Seele immer wieder in der Lage ist, sich auf extreme Situationen einzustellen und uns so stabil zu halten. Toll. Einmalige Erfahrung.
Ich bin am 17.01. auf Grenada und am 21.01. auf St. Lucia.
Gestern eingetroffen: 2X Zinkanaode, 3X HS Block.
Ich begleite Euch weiter. LGD
Nein, Einsamkeit ist für uns kein Problem. Wir sind ja zu zweit und harmonieren gut. Eine völlig andere Situation wäre es, wirklich allein unterwegs zu sein. Das würde mir schwer fallen, gibt es aber auch. Das mit Abstand größte Problem ist die Schaukelei, seit 10 Tagen muss man jeden Schritt und jeden Handgriff sorgfältig planen. Heute morgen hat Helga ein Glas mit frisch ausgepresstem Orangensaft verschüttet, mir ist unser Brotmesser beim Frühstück durchs Fenster in unser Bett gefallen. Und so geht es Stunde um Stunde. Bei mir führt das gelegentlich zu Wutanfällen und bei Helga zu Tränen. Das zweitgrößte Problem ist die ständige unterschwellige Anspannung, ob denn nicht doch mal ein wichtiges Teil bricht, in jedem Moment Tag und Ncht bereit zu sein, auf einen Sqall zu reagieren (Starkwindphase von 15 Minuen) oder einfach nur die Vorstellung, Hunderte von Seemeilen von jeglicher Hilfe entfernt zu sein. Das drittgrößte Problem ist der Schlafmangel. Klingt aber alles schlimmer als es ist, nur weil Du gefragt hast.
Am 21. Januar werden wir Dich in St. Lucia treffen, wir freuen uns!