Oh je, seit 19 Tagen keinen Text gepostet. Nicht dass das Schreiben hier noch in eine Pflicht ausartet 🙂 . Na die Photos machen Helga jedenfalls noch viel Freude.
Unser kleiner Sturm draußen auf dem Atlantik auf dem Weg hier zu den Kapverden war vorher aufregend aber dann im Grunde harmlos. In der Nacht waren es volle 7 Windstärken mit Böen bis zu 8 Windstärken. Wir haben nur von der Genua ein paar Quadratmeter raus gehalten, sodass das Schiff bergrunter nicht ständig ins Surfen kam und Lisa gut zurecht kam. Ab und zu lief das Schiff dann doch aus dem Ruder und lag etwas quer zu den ca. 3 bis 4m hohen Wellen, aber das einzige, was dann passiert, war, dass mal mehr oder weniger Wasser in das Cockpit kam, wo es schnell wieder abfloss. Lisa drehte das Schiff brav wieder auf Kurs. Natürlich wird man selber nass, wenn man sich gerade im Cockpit befindet, aber inzwischen haben wir Temperaturen, wo das keine erhebliche Beeinträchtigung des Wohlbefindens mehr ist. Es fühlt sich jedenfalls gut an, zu wissen, dass wir auf dem Ozean mit zumindest 8 Windstärken gut zurecht kommen würden, solange wir da nicht gegen an müssen.
Im nautischen Reiseführer haben wir gelesen, dass die Seekarten in den Kapverden erheblich ungenauer sind als bei uns und dass oft die Beleuchtung der Seezeichen ausfallen würde. Außerdem gibt es hier in den Häfen gelegentlich unbeleuchtete Wracks. Jedenfalls hatte ich das Gefühl, wir sollten nicht im Dunkeln in Sal ankommen, der Insel im Nordwesten der Kapverden und einer der drei möglichen Einklarierungshäfen. Unsere geschätzte Ankommenszeit lag während der ersten Tage immer gegen 12:00 Uhr nachts und änderte sich auch nicht. Das Boot schneller voran zu treiben kommt für uns überhaupt nicht in Frage, es geht einfach zu viel kaputt und bedeutet unruhige Nächte und viele Extrasegelmanöver. So haben wir einen Gang zurück geschaltet, sind mit 5 Knoten gemütlich dahin gesegelt und haben tatsächlich dann Sal mit der aufgehenden Sonne erreicht.
Es gibt neue Tiere draußen zu sehen: Fliegende Fische. Mit viel Geschick segeln die einige Dutzend Meter weit. Sie fliegen Kurven und verstehen scheinbar von Aerodynamik genau soviel wie Vögel. Leider landen sie nachts auch bei uns versehentlich an Deck. Manche schaffen es wieder ins Wasser, aber so 4 bis 6 Fliegende Fische finden sich morgens tot an Deck. Tagsüber passiert das nicht. Wenn wir sie früh genug sehen, schmeißen wir sie selbst zurück, aber es ist ja auch laut bei den 6 Windstärken und regelmäßig aufs Vordeck will man nachts auch nicht klettern. Es tut uns leid, wir hoffen, dass sie von den Navigationslichtern angezogen werden. Diese würden wir dann auf dem Atlantik einfach aus machen, wenn weit und breit kein Schiff in der Nähe ist.
Mit den Kapverden haben wir nun ein Revier ganz anderer Art erreicht, als alles, was wir in Europa gesehen haben. Wir sind nun wirklich in Afrika. Vieles erinnert mich an Indien. Die Menschen haben erheblich weniger Besitz, als es in Europa üblich ist. Es gibt nun die fliegenden Straßenhändler, die auch mal hartnäckig sein können. Die Häuser sind schön bunt und besitzen statt richtiger Dächer einfach eine waagerechte Betondecke, wo man eventuell mal eine weitere Etage drauf bauen könnte oder auch nicht. Es gibt nun zum ersten Mal richtige Gemüsemärkte aber auch noch Supermärkte mit einem erheblich reduzierten Angebot als noch auf den Kanaren. Trotzdem sind Lebensmittel relativ teuer, keine Ahnung, wie sich die Einheimischen mit geringem Einkommen versorgen. Taxipreise müssen vorher ausgehandelt werden, sonst kann man schon mal einen speziellen „Touristentarif“ erwischen (aber nicht immer!). Richtige Marinas gibt es hier außer einer einzigen in Mindelo nicht mehr. Mit „Hafen“ meint man hier eine gegen den Passat geschützte Bucht mit vielleicht einem Pier für das Versorgungsfrachtschiff der Insel und für die Fähre zu den anderen Inseln (insgesamt 10 Hauptinseln). Yachten ankern grundsätzlich und man fährt mit dem Dinghi an Land. Dort kommen einem dann sofort einheimische Kinder und Jugendliche entgegen, die einem jede Menge Dienste anbieten, die man eigentlich nicht haben möchte. Dazu gehört dann immer das Bewachen des Dinghis. Wir wissen nicht, wie gefährdet das Dinghi und der Außenborder wirklich gegen Diebstahl sind. In den Fällen, in denen wir uns tatsächlich auf einen Dinghibewacher eingelassen hatten, war selbiger jedenfalls nicht mehr zu sehen, wenn wir zum Dinghi zurück kamen. Es fühlt sich auch komisch an, das Schiff unbewacht am Ankerplatz zu lassen und für mehrere Stunden an Land zu gehen und z.B. zu wandern. Aber wir denken, wenn wir diese Risiken nicht eingehen, um etwas vom Land zu sehen, braucht man auch gar nicht hier her kommen. Wenn andere Schiffe nebenan ankern, bitten wir deren Besatzung schon mal, ein Auge auf unser Schiff zu haben. Bürokratie wird hier groß geschrieben: In jedem „Hafen“ geht der erste Gang zur Polizei, um uns mit einem schönen Formular anzumelden, und vor der Abfahrt geht es wieder zur Polizei, um uns mit einem weiteren Formular abzumelden. Zur Belohnung gibt es eine Bestätigung, auf der steht, dass man sich abgemeldet hat, was dann die Polizei im nächsten Hafen dringend zur Anmeldung sehen möchte. Trotz aller Armut, machen die Menschen eher einen zufriedenen, stolzen und auch anmutigen Eindruck, so wie in Indien auch. Auch Hungern muss hier keiner, angeblich ist die Kapverdische Republik eines der am besten funktionierenden Länder Afrikas.
Von Sal haben wir nicht soviel gesehen. Das beste ist natürlich erst mal eine Dusche, dann waren wir am Flughafen, um Knuts Visum zu klären, und schließlich in der Hauptstadt der Insel um Geld der lokalen Währung aus einem Automaten zu beschaffen, etwas einzukaufen, und eine lokale SIM-Karte zu besorgen. Internet wollen wir haben und das ist hier einfach und preiswert. Ich hatte das erste mal das Gefühl, dass mich eine Telefongesellschaft nicht mit komischen Tricks und Kleingedrucktem belästigt, wie es die europäischen Telefonanbieter in der Regel tun. Schließlich haben wir uns den Ort angeschaut und das afrikanische Flair auf uns wirken lassen. Nach 6 Tagen auf See gehen wir auch gerne mal in eine Restaurant, ohne das Helga auf schwankendem Boden etwa herbei zaubern muss. Hauptsächlich mussten wir weiter, weil der Flug von meinem Bruder Knut in 5 Tagen von Mindelo auf Sao Vicente los ging, und das waren nochmal zwei Segeltage. Die erste Tour enthielt sogar noch eine halbe Nacht und ging zur ca. 90 Seemeilen entfernten Insel Sao Nicolau und von dort waren es dann nochmal ca. 40 Seemeilen nach Sao Vicente.
Der Passat wehte konstant mit 5 bis 6 Windstärken, sodass wir eigentlich nur noch mit Genua segeln. Seit Madeira haben wir zwar zwei oder dreimal das Großsegel heraus geholt, weil man es einfach so gewohnt ist. Jedes mal musste das Großsegel dann bald wieder verschwinden, weil es einfach zu viel Segelfläche war. Wir haben schon im Scherz überlegt, unser neues Großsegel wieder bei ebay anzubieten 🙂 .
Auf Sao Nicolau haben wir uns einen Tag aufgehalten und eine sehr schöne Wanderung gemacht.
Schließlich sind wir in Mindelo angekommen und freuen uns, wiedermal das sichere Gefühl und die Annehmlichkeiten einer richtigen Marina genießen zu können. Die Waschmaschine ist zwar nicht wie üblich im Hafen, aber es gibt einen richtigen Waschsalon in 10 Minuten Fußwegentfernung. Die Stimmung hier in der Marina ist klasse. Es gibt nun nur noch Blauwasseryachten, alle stehen kurz davor, den Sprung über den Atlantik zu wagen. Es herrscht geschäftiges Treiben, die letzten Reparaturen werden noch gemacht, volle Einkaufswagen mit Proviant werden über den Steg geschoben. Alle haben gute Laune und das Miteinander ist immer freundlich und hilfsbereit.
Nach einem letzten Rundgang durch die Stadt hat Knut uns dann am nächsten Tag verlassen. Es heißt ja, dass das Miteinander in der Enge auf so einem kleinen Boot mitunter vermehrt zu Konflikten führen kann. Grundsätzlich glaube ich das nicht. Helga und ich haben sehr selten Konflikte und dann sind es dieselben Konfliktthemen, wie an Land auch. Aber sicherlich wirkt das Zusammensein auf so engem Raum wie eine Art Schnellkochtopf. Versteckte Konflikte, die sowieso schon da waren, kommen unausweichlich an die Oberfläche. Grundsätzlich ist das ja nicht schlecht. Man bekommt die Chance zur Lösung. Oder man gewinnt zumindest mehr Klarheit über die Konflikte und weiß besser, woran man ist.
Für den übernächsten Tag nach Knuts Abreise war die Ankunft der ARC+ geplant. Das ist eine organisierte Flottenfahrt von ca. 90 Schiffen von den Kanaren nach Mindelo und dann in die Karibik. Man erhält so eine Art Rundumversorgungspaket mit einer Sicherheitsabnahme des eigenen Schiffes, Betreuung vor und während der Überfahrt und dem guten Gefühl, nicht alleine mitten auf dem Atlantik zu sein. Leider (für uns) gehört zum Rundumpaket auch, dass die Hafenplätze fest reserviert sind. Und so mussten so gut wie alle anderen Schiffe in der Marina den Hafen verlassen. Einige sind direkt in die Karibik aufgebrochen, aber wir fühlten uns nach 900sm und 3 Inseln in 2 Wochen erschöpft und Ruhe bedürftig. So sind wir zu einer hübschen Ankerbucht im Süden von Sao Vicente aufgebrochen. Ein herrlicher Strand, wenig Betrieb – aber leider permanent 6 Windstärken am Ankerplatz, manchmal auch 7 Windstärken. Unser Anker lag gut im Sand in 7m Tiefe, sodass ich da wenig Sorge hatte. Allerdings zehrt das ständige Pfeifen des Windes über 6 Tage letztlich doch erheblich an den Nerven. Ständig muss man prüfen, ob nicht irgendwo irgendetwas scheuert und kaputt gehen kann. Dennoch haben 2 unserer Leinen erhebliche Scheuerstellen bekommen und last not least hat mir der Wind beim Reinigen des Beibootes zum Schluss das Sitzbrett aus der Hand gerissen. Dieses ist mit der Ecke auf einer unserer Luken gelandet, die nun einen Sprung hat. Einen Moment habe ich nicht aufgepasst und schon ist die nächste Reparatur für ein paar Hundert Euro mit vielen Stunden Arbeit, um das Ersatzteil hier an Bord zu bekommen, fällig. In so einem Moment macht das Leben auf einem Segelboot keinen Spaß und ich zitiere mal einen Segler, der wohl ähnliche Frustmomente kennt: „Menschliche Technologie steht gegen die Unbarmherzigkeit der Natur und der Segler lächelt im Bestreben, das Ganze nach einem Lebensstil voller Leichtigkeit und Schönheit aussehen zu lassen – heute oft auf YouTube. Häufig ist das Leben auf See dann auch wunderschön. Die Regel ist aber Arbeit, Arbeit, Verzweiflung, Frustration und noch mehr Arbeit.“ Wir hatten aber auch die erwähnten schönen Stunden: eine schöne Wanderung zum Leuchtturm in 4km Entfernung mit Ausblick auf das Feld der ARC+, wie sie gerade in die Karibik aufbrechen. Dann wohnten in der Bucht eine Handvoll Schildkröten. Ein bisschen waren die domestiziert, weil die Einheimischen täglich mit zahlenden Touristen raus gefahren sind und die Schildkröten mit Fischen gefüttert haben. Trotzdem war es schön, diese urigen Tiere aus vergangenen Zeiten frei um das Dinghi herumschwimmen zu sehen.
Aufregend waren auch die täglichen Dinghifahrten an den Strand. Es gab nämlich erheblichen Schwell in der Bucht, obwohl die Bucht gegen die Wellen des Passats aus Nordosten geschützt ist. Dieser Schwell führte zu einer Brandung von ca. 60 – 80 cm Höhe. Das klingt erst mal nicht viel, macht An- und Ablegen aber zu einem Abenteuer. Wenn man mit dem Dinghi eine Brandungswelle erwischt, kann man sich hinterher nach trockenen Klamotten umsehen. Für mich war es eher ein Spaß, der meinen sportlichen Ehrgeiz anfachte. Bei den Temperaturen hier kann man auch einfach ein zwei Stunden warten, um trocken zu werden. Für Helga war es kein Spaß, sondern eine notwendige Unannehmlichkeit 🙂 . Am Schluss hatten wir es raus und sind in der Mehrzahl der Fälle trocken ans Ufer gekommen bzw. zurück zum Schiff.
Sei gestern sind wir nun wieder in der Marina in Mindelo. Nun beschäftigen wir uns endgültig mit unserer großen Überfahrt. Einige Reparaturen am Boot sind noch nötig, Wäsche wird nochmal gewaschen und Helga muss nun endgültig die Versorgung mit frischen Lebensmitteln für die 3 Wochen planen. Die haltbaren Lebensmittel haben wir schon seit Deutschland an Bord. Die Anspannung steigt und wir haben uns heute den 1. Dezember als Abfahrtstag erwählt. Tatsächlich hoffen wir, die Überfahrt von ca. 2100sm in 17 Tagen machen zu können. Das entspräche einer eher gemächlichen Geschwindigkeit von 5 Knoten.
Sai Ram, Ihr Lieben,
danke für die lebendige Schilderung Eurer Überfahrt zu den Kapverden — sie vermittelt einen guten Eindruck, auch von Höhen und Tiefen Eures Unternehmens! Solch einen Sturm mit 3–4 m hohen Wellen zu erleben erscheint mir sehr aufregend — das fände ich gar nicht so nett, aber Ihr habt ihn offbar gut überstanden. Wie lange hielt der Sturm denn an? Ich denke mir, dass es irgendwann sehr anstrenged wird. Aber auch ohne Sturm hattet Ihr ja ständig gute Windstärken und keine ruhige Überfahrt. Und Wasser im Cockpit — hattet Ihr denn die Treppe zum Salon verschlossen oder lief das Wasser da auch rein? Brrrr…!
Und wieso musste Knut sein Visumam am Flughafen klären? Man benötigt also Visa für all die fernen Länder — eigentlich nicht verwunderlich. Ich nehme an, Ihr habt alles, was Ihr braucht.
Tut mir leid, dass das Boot einen Schaden aufgrund des starken Windes in der Bucht abbekommen hat und nun wieder Reparaturen anstehen! Ich bin aber froh, dass Ihr jetzt wieder im Hafen liegen und Euch besser ausruhen und in Ruhe vorbereiten könnt! Und jetzt ist es noch eine Woche bis zur Abreise am 1. Dezember — echt aufregend!
Lasst es Euch gut gehen! Herzliche Herbstgrüße aus Essen, Dagmar