Dagmar ist vorgestern wieder nach Hause geflogen und wir verleben hier im Süden von Gran Canaria ein paar ruhige Tage, bis mein Bruder Knut am Freitag für 2 Wochen kommt, um mit uns gemeinsam die Überfahrt zu den Kapverdischen Inseln zu machen. Evtl. fahren wir morgen nochmal mit dem Bus ins Landesinnere, um die Gipfelregion (ca. 1800m hoch) zu besuchen und eine kleine Wanderung zu machen. In den 8 Tagen mit Dagmar haben wir viel erlebt und sind kaum zum Schreiben gekommen. Nun hat Dagmar in Aussicht gestellt, einen Blogbeitrag über die Zeit zu schreiben, sodass ich heute mal über etwas ganz anderes schreiben kann.
Letztens kam das Gespräch darauf, was wir uns eigentlich von der Reise erwarten bzw. erhoffen. Nun ist schon ein Drittel unseres Jahres um und ich versuche mal zu reflektieren, inwieweit es eingetreten ist. Sicherlich gibt es eine Vielzahl von Impulsen, die uns zu dieser Reise geführt haben, aber ich möchte mich um den für mich erhabensten Grund kümmern, den wir auf der Titelseite der Webseite so angedeutet haben:
“In der Tiefe der Stille könnt ihr meine Stimme hören.”
Sathya Sai Baba
Im Grunde genommen stammt der Impuls aus meiner Kindheit. Damals konnte ich in der Natur eine tiefe Verbundenheit im Inneren spüren, Frieden und Ruhe, ein vollständig Sein. Wahrscheinlich hat das jeder mal in der Stille der Natur erlebt. Richtig beschreiben kann ich es nicht. Besonders am Meer während unserer Urlaube auf der Insel Usedom gab es unzählige dieser Momente. Die Häufigkeit dieser Momente ist im Laufe der Zeit zwar geringer geworden, aber sie sind nie ganz verschwunden. Besonders in den Bergen habe ich das auch oft erlebt. Im Laufe der Jahre habe ich gelernt, dieses Gefühl auch in der Andacht in einer Gemeinschaft von spirituellen Menschen, in der Meditation und nicht zuletzt im Ashram von Sai Baba zu finden. Dennoch ist es in der Natur für mich besonders direkt und einfach zu erleben. Auch wenn Helga sich mehr grün wünscht, habe ich das Einheitsgefühl das letzte Mal während unserer Wanderung am letzten Samstag (in der üblichen Vulkansteinlandschaft hier) erlebt. Übrigens war es da am stärksten während es regnete. Nun die Hoffnung war also, dass die Stille leichter und öfter abseits der Mühle des Alltags in Deutschland zu finden ist, wo wir oft wochenlang nicht in richtige Natur kommen.
Und tatsächlich habe ich während der Reise diese Einheitsmomente öfter als in Deutschland, und die Natur wird meines Erachtens zu recht glorifiziert. Es gibt jedoch ein „aber“: Das Gegenteil von Natur würde ich als Kultur bezeichnen. Natur ist das, was von Menschen nicht modifiziert wurde und Kultur ist das was die Menschen in ihrer Umgebung erschaffen. Und auch wenn diese „kulturelle Umgestaltung“ oft dem Einheitserleben entgegenstehen, so sichert sie definitiv unser Überleben und gibt uns den Freiraum und den Luxus der Naturerfahrung. Ganz konkret ist es beispielsweise so, wenn wir nachts bei viel Wind auf dem Meer sind, so hält sich die „Naturerfahrung“ mitunter sehr in Grenzen. Dann geht es darum, nicht nass zu sein, nicht zu frieren, nicht seekrank zu sein und das Schiff am Laufen zu halten, ohne das etwas zu Bruch geht. Der Wetterbericht muss regelmäßig abgerufen werden, ob man Lust hat oder nicht und manchmal ist es schwierig, einfach nur etwas zu Essen. Letztlich ist es auch ein Kampf, wenn er auch andere Inhalte hat, als in Deutschland z.B. auf der Arbeit. Wir können da draußen ja nur deswegen überleben, weil wir ein hoch technisiertes Schiff haben, dass auf den höchsten technisch kulturellen Errungenschaften der Menschheit beruht: Materialwissenschaft (ein Schiff aus Holz mit traditionellen Tauen aus Hanf und Segeln aus schwerem Baumwolltuch wäre wahrscheinlich mit zwei Menschen kaum beherrschbar), der Motor und die ganze Elektronik (wir hängen stark von der Satellitentechnik ab) usw. usw. Wenn wir dann nach einer Überfahrt in den Hafen kommen, zieht es uns nicht als erstes in die Natur der Insel, sondern es zieht uns zu den kulturellen Einrichtungen: eine warme Dusche mit Süßwasser, in den nächsten Supermarkt, zu einer schönen elektrischen Waschmaschine und in die nächste Hafenbar, um runter zu kommen. Noch ein Beispiel fällt mir aus den Masuren ein, wo wir vor zwei Jahren segeln waren. Da gibt es kleine unbewohnte Inseln, die Natur pur sind. Das bedeutet dann allerdings Mücken ohne Ende und undurchdringbares Unterholz und Brennnesseln. Ein bisschen Kultur ist dann nicht schlecht und wenn es nur Autan ist.
So ist es letztlich ein Hin- und Herpendeln zwischen Natur und Kultur. Beides zieht uns gelegentlich an und beides stößt uns gelegentlich ab. Letztlich machen wir einfach nur Erfahrungen wie in Deutschland auch, eben nur andere. Dennoch finde ich, dass das Menschengemachte in unserer Zeit überhand nimmt und ich fände es schön, der Natur mehr Raum zu geben. Na ja, in den hunderttausenden von Jahren davor war es wahrscheinlich anders herum.
Und die Stille? Am letzten Donnerstag ist sie ganz unerwartet auf ganz anderem Weg zu uns gekommen. Wir hatten zu dritt einen schönen Tag in Las Palmas und waren auf dem Weg zum Busbahnhof, als wir in einem unscheinbaren Hauseingang ein A4 großes Schild entdeckten, dass ein Sai Baba Zentrum bezeichnete. Sai Baba ist unser spiritueller Lehrer. Und es war „zufällig“ Donnerstagabend 18:00 Uhr und genau zu diesem Zeitpunkt begann dort das Bhajansingen. Keine 10 Sekunden nachdem wir das Schild entdeckt hatten, kam eine Dame, die uns mit hinauf nahm. Und so sind wir urplötzlich aus dem verrückten Trubel der Großstadt Las Palmas in die Stille gefallen.
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