Mit dem ablaufenden Wasser ließen wir uns am Montag, den 23.09.2019 aus dem Ría de Aveiro hinaus auf den Atlantik tragen und nahmen dann Kurs auf in Richtung W später nach S‑SW. Die ersten ein bis zwei Tage bescherte uns der Amwindkurs Schräglage sowie auf und ab, dann drehte der Wind und wir hatten fast die ganze Strecke bis zum Madeira Archipel Wind von hinten, besser gesagt wenig Wind von hinten. Das bedeutet, es war wieder eine ziemliche Schaukelei, für die es segeltechnisch keine befriedigende Lösung zu geben scheint. Die Segel schlagen gegen die Wanten und knallen. Nimmt man das Groß ganz runter, schaukelt das Schiff umso stärker in den Wellen. Auch das Reffen des Großsegels, ein Tipp von einem erfahrenen Fahrtensegler, brachte keine deutliche Besserung. Die Antirutschmatten machten sich erneut bezahlt und insbesondere in den ersten 24 Stunden spürten wir alle eine gewisse Übelkeit bis uns die Seebeine wieder gewachsen waren. Da wir das Groß mit Bullenstander gesichert und die Genua ausgebaumt fuhren, war jede Kursänderung mit einigen Arbeiten auf dem Vordeck verbunden. Parallel zur portugiesischen Küste führt eine stark befahrene Frachterautobahn, die wir überqueren mussten und die vom Wachhabenden besondere Aufmerksamkeit und auch ein paar Ausweichmanöver verlangten. Ein größeres Frachtschiff funkte uns bereits einige Seemeilen im voraus an und wollte uns weismachen, dass wir kein Segelschiff seien (wir fuhren unter Segeln, nicht unter Motor). Am dritten Tag hatten wir noch einmal ein erhöhtes Aufkommen an Frachtern, die die Straße von Gibraltar befuhren aber immerhin gab es fast keine Fischereifahrzeuge mehr.
In Porto war Lena an Bord gekommen und zum ersten mal teilten wir die Wachen ganz konkret im 4 Stunden-Rhythmus ein. Für uns war das superkomfortabel, da wir erstmalig jeweils ganze 8 Stunden frei hatten. Ich hatte das Glück, dass ich dadurch nachts von 22 bis 6 Uhr schlafen konnte. Nach meiner Morgenwache frühstückten wir gemeinsam im Cockpit, was wiederum eine willkommene Unterhaltung für Lena während ihrer von 10 bis 14 Uhr dauernden Wache war. Am Nachmittag habe ich meist um 16:00 Uhr gekocht, so dass das Essen mit Spülen um 18:00 Uhr zu Beginn meiner abendliche Wache erledigt war. Außer zu den Essenszeiten hat immer einer seine Freiwache genutzt, um zu geschlafen. Wir hatten viel Muße zum Kochen und ich bin sogar ein bisschen zum Lesen gekommen. Mit Rettungsweste und AIS ausgerüstet, angeleint und in eine Decke gekuschelt, hörte ich während der ersten Morgendämmerung am östlichen Horizont das Sri Rudram und dachte an die morgentlichen Vedenrezitationen im Ashram in Puttaparthi. Abends nach dem Sonnenuntergang wurde an steuerbord als erstes Sternbild der große Wagen sichtbar, den die Amerikaner “big dipper” nennen, wie ich von Lena erfahren habe und nach und nach zeigten sich Sternbilder und Millionen Sterne am Nachthimmel. Fast in jeder Nacht sahen wir Sternschnuppen und sogar in dem aufgeschäumten Wasser der Bugwelle funkelten kleine, leuchtende Mikroorganismen. Ob es sich dabei um das klassische Meeresleuchten handelte, bei dem die im Seewasser befindlichen Kleinstlebewesen nach einem Berührungsreiz Lichtsignale aussenden, weiß ich nicht. Das gleiche Leuchten hatte ich auch schon öfter in unserer mit Meerwasser gespülten Bordtoilette beobachtet. Allerdings sieht man es nur, wenn man nachts beim Pumpen kein Licht anmacht.
Und dann nahmen wir es wahr. Nach zwei Tage ließ es sich nicht mehr leugnen. Das Wasser sah irgendwie anders aus, als bisher. Es hatte eine unglaubliche, fantastische, blaue Farbe. Ein leuchtendes, klares Blau, durchscheinend wie ein Kristall und trotzdem unglaublich intensiv, Blauwasser bis zum Horizont. Und diese Farbe ist bis heute so geblieben, jedenfalls bei Sonnenschein. Jetzt wissen wir, warum es Blauwasser-Segeln heißt, was wir machen.
Auf unserem Kurs fast nach Süden mit dem Wind genau von hinten zeigte sich, dass die Segel, vor allem beim Schmetterling, die Solarpaneele ziemlich verschatten und unsere Akkuladung langsam zur Neige ging. Als erste Maßnahme schalteten wir den Kartenplotter auf Standby, dann musste der Kühlschrank für ein paar Stunden pausieren. Als am fünften Tag dann zu allem Überfluss noch der Himmel bedeckt war, mussten wir leider für die Stromproduktion eine Stunde motoren. Aber am Nachmittag kam schließlich — noch ganz klein und weit weg, aber immerhin — Land in Sicht. Am Horizont erschien die zackige Silhouette der Vulkaninsel Porto Santo im NO von Madeira. Trotz GPS und digitalen Seekarten erschien es mir wie ein Wunder, nach 125 Stunden Fahrt und über 580sm genau diese kleine Insel mitten im Atlantik getroffen zu haben. Wie müssen sich die Seefahrer in früheren Zeiten gefühlt haben, als noch ausschließlich mit Kompass und Sextant navigiert wurde? Und ob wohl auch manchmal ein Schiff ganz knapp am ersehnten Land vorbei gesegelt ist?
Außerhalb der Hafenmole von Porto Santo hielt ich das Schiff im Wind, damit Frank das Großsegel herunternehmen konnte. Danach nahm ich wieder Kurs auf die Hafeneinfahrt und wollte Gas geben, als sich die Schraube nur noch sehr schwer drehte. Schnell rollten wir die Genua wieder aus und versuchten mit dem letzten Windhauch die Ankerfläche neben dem Hafen zu erreichen. Genau als wir manövrierunfähig vor der Hafeneinfahrt dümpelten, signalisierte die Fähre durch einen langen Ton, dass sie nun nach Madeira auslaufen würde. Zum Glück konnten wir sie über Funk informieren und sie navigierte ganz locker um uns herum. Der Anker fiel in den gelben Sand von Porto Santo und Frank holte eine dicke, zerfetzte, schwarze Plastiktüte aus dem Propeller. Zwei gute Nachrichten: Erstens, Propeller und Ruder sind wohlauf. Zweitens, endlich hat das Wasser eine Temperatur, bei der man durchaus auch mal freiwillig hinein gehen kann!
Eine Stunde später lag die SAI MANGALAM in der Marina im Päckchen (!) am Steg und wir freuten uns über eine warme Dusche.
Liebe Helga, lieber Frank,
danke für das Teilen eurer wundervollen Reise. Ich bin eine begeisterte Leserin eurer sehr lebendig geschriebenen Schilderungen der einzelnen Etappen, die mich in eure Erlebnisse eintauchen lassen. Ich bin regelmäßig Gast auf eurer Seite und freue mich immer sehr, wenn ich wieder einen neuen Beitrag im Blog lesen kann. Ihr könntet tatsächlich ein Buch über eure Erlebnisse schreiben. Wunderschön sind auch die vielen stimmungsvollen Fotos, die eure Eindrücke der Landschaften etc. widerspiegeln.
Genießt die Zeit, die Wärme und das Kennenlernen neuer Länder und Menschen.
Alles Liebe für euch
*Angelika*
Vielen Dank, liebe Angelika, für Deine schöne Rückmeldung! Dir wünschen wir eine inspirierende und erfüllende Reise nach Indien! LG Helga