Die Biskaya ist bei allen Seglern respektiert und gefürchtet, doch wer weiter nach Süden will, der muss da durch. Yachten kommen zu schaden und Segler sterben. Doch was ist an der Biskaya so besonders? Einmal kann es hier besonders steile Wellen geben, da der Meeresboden von über 4.000m auf rund 200m ansteigt. Auch werden die Wellen aufgrund der Küstenform so reflektiert, dass man gleichzeitig Wellen aus verschiedenen Richtungen hat, was sehr unangenehm werden kann. Darüber hinaus ziehen hintereinander weg atlantische Tiefdruckgebiete durch. Ab Ende August nimmt die Häufigkeit von Stürmen zu, deshalb wollten wir die Überfahrt nicht zu spät wagen. Es ist angeraten, die Wettersituation genau zu beobachten und loszufahren, sobald ein Tiefdruckgebiet fast durch ist.
Als der West-Südwestwind noch ganz schön tüchtig blies, warfen wir am Sonntag, den 18.08.2019 in Dublin mit zwei Reffs im Großsegel und gereffter Genua die Leinen los. Die Windstärke betrug in den Böen noch 7 bft. Zum Glück hatte ich beobachtet, dass sich am Morgen auch andere Yachten von unserer Größe aus dem geschützten Dublin Bay hinausgewagt hatten. Als die ersten Crews uns wieder entgegen kamen, sank mein Mut ein wenig, aber der Wind sollte ja nach zwei Tagen deutlich nachlassen und das Segeln machte selbst auf diesem Amwind-Kurs ganz schön Spaß.
Wir hatten uns überlegt, die Wachen so einzurichten, dass keiner von uns in ein Schlafdefizit gerät. Wir wollten je nach Bedarf etwa alle 3 bis 5 Stunden wechseln und jeder sollte insgesamt 8–9 Stunden ganz abschalten oder schlafen können. Dadurch wollten wir vor allem bei den anstrengenden Hundewachen zwischen Mitternacht und den frühen Morgenstunden wenigstens ausgeschlafen sein. Für mich ist es etwas ungewohnt, tagsüber zu schlafen, aber eigentlich habe ich auch mittags oder abends meist sehr gut geschlafen. Richtig schlimm ist ja nur immer das Aufstehen, wenn alles kalt und feucht ist und schräg liegt. Trotz des Schlafkonzeptes sind mir nachts manchmal die Augen zugefallen. Da wir oft nur alle paar Stunden einem Schiff begegneten, legte ich mich im geschützten Salon hin und stellte mir einen Handy-Alarm auf 15 oder 20 Minuten, um einen Rundum-Blick zu werfen, Kurs, Wind und Geschwindigkeit zu kontrollieren. Wenn sich auf dem AIS kein anderes Schiff in Annäherung zeigte, konnte ich mich danach wieder im Trockenen ausstrecken, während Lisa sicher weiter steuert.
Als ich am zweiten Tag früh morgens die Wache übernahm, sah ich neben der Reling einen Berg aus Wasser, der anschwoll, das Schiff hob und dann wieder in ein Tal hinabgleiten ließ. Lange, sanft um zwei bis drei Meter ansteigende Wellen, die schönsten Wellen, die ich je gesehen hatte. Wir hatten den St-Georgs-Kanal passiert und waren auf die Keltische See gefahren, wo die langen Atlantikwellen von Südwesten hereinkamen. Während meiner Wache stand ich staunend an der Sprayhood und schaute fasziniert auf die Wellen. Wenn die die Wellen zu steil oder schnell hintereinander kamen, tauchte SAI MANGALAM mit dem Bug ein und das Wasser schlug über das ganze Deck und spritzte mir ins Gesicht. Ein oder zwei Wellen fanden den Weg bis in den Niedergang und hinterließen salzige Krusten auf dem Gasherd. Mehrere Male wechselten Regenschauer mit Sonnenschein und segneten uns dreimal mit einem Regenbogen. Leider war alles viel zu feucht und zu rauh, um die Kamera heraus zu holen.
Und dann, ein dunkler, schlanker Schatten springt direkt backbord neben dem Heck und schon ist er verschwunden. War das nicht etwa … Später bei Tageslicht konnten wir sie dann deutlich sehen. Delfine. Es gibt sie also doch! (Dann gibt es also auch Einhörner …) Von da an besuchten sie uns jeden Tag. Oft kamen sie zu zweit, schnellten durch das Wasser, sprangen und tauchten unter dem Boot durch. Einmal kreuzte eine kleine Gruppe von sieben Tieren unseren Weg. Delfine zaubern immer ein Lächeln in das Gesicht der Menschen, die sie entdecken. Ich glaube es liegt daran, dass sie so fröhlich sind. Sie scheinen vor Lebensfreude nur so zu sprühen, sie drehen sich unter Wasser auf den Rücken, eskortieren das Schiff mal rechts, mal links und springen lustig aus dem Wasser. Ganz anders als die Schweinswale, die wir oft vorbei ziehen sahen, kommen die Delfine gerne heran und suchen die Nähe zum Menschen.
Als wir an den Scilly Islands vorbei segelten, lud Frank schnell einen Wetterbericht über Handynetz herunter. So erfreulich es auch schien, dass die ganze Biskaya von einem friedvollen Hochdruckgebiet bedeckt war, so bedeutete es auch, dass wir auf jeden Fall durch die Flaute mussten. Trotzdem entschieden wir uns, nicht nach Cornwall abzubiegen, sondern weiter 180° nach Süden zu segeln. Westlich der Bretagne gibt es ein Verkehrstrennungsgebiet, in das die dicken Tanker und Frachter aus Süden und Südwesten einbiegen und in den Ärmelkanal geleitet werden. Mitten in dieser Einflugschneise verließ uns der Wind komplett. Manövrierunfähig (zumindest, was das Segeln betrifft) schaukelten wir dahin, während rechts und links die 300m-langen Frachtschiffe aus Übersee so nah vorbeischoben, dass wir die einzelnen Container und die Aufbauten an Deck sehen konnten. Solange noch ein wenig Fahrt im Schiff ist, ist so eine Flaute auch erholsam. Jedoch unter 7 (Windstärke 2 Bft) oder 8 Knoten Wind steuert Lisa nicht mehr zuverlässig und einer von uns muss am Steuer stehen. Das Geschaukel und das Schlagen der Segel ist nervenaufreibend und macht einen fertig. Die Wettervorhersage ergab, dass in diesem Seegebiet in den nächsten Tagen nicht wieder mit Wind zu rechnen war. Wir befanden uns mitten im Zentrum des Hochdruckgebietes. Schließlich warfen wir in der Nacht den Motor an, um aus der Fahrlinie der Frachter herauszukommen und um weiter südlich in eine Zone mit leisem Nordostwind zu gelangen. Wir verließen den Kontinentalschelf mit einer Tiefe von 140m und segelten danach zwei Tage über atlantische Wassertiefen von 4.000m bis 4.500m.
Wenn die See bei wenig Wind ruhig ist, zeigen sich Tiere, die man sonst nicht wahrnehmen kann. An diesen Tagen sahen wir auf der Biskaya einige faustgroße Segelquallen mit filigranen, durchsichtigen Segeln an uns vorbei gleiten. In der Nähe zogen zwei Wale vorbei, deren Größe ich nicht einschätzen kann. In gleichmäßigem Rhythmus tauchen sie auf, bliesen Luft aus, atmeten ein und tauchten wieder ab. In der Nacht spannte sich über uns fernab von jeglicher störender Lichtquelle ein Sternenzelt aus Millionen Sternen. Zum ersten Mal sah ich die Milchstraße, die sich über das ganze Firmament als unregelmäßiges Band aus unzähligen leuchtenden Sternen erstreckt. Während ich zwischen Sprayhood und Bimini staunend den Nachthimmel bewunderte, fiel eine Sternschnuppe herab. In dieser Nacht verstand ich, warum es Menschen fasziniert, lange Strecken über die Ozeane der Welt zu segeln.
Wenn einer von uns vom Schlaf heraufkam, um den anderen abzulösen, pflegte er zu fragen: „Ist es schon wärmer?“ Bereits einige hundert Seemeilen waren wir von Schottland aus nach Süden gesegelt, als wir endlich die erste Wache ohne Ölzeug halten konnten. Am Donnerstag kamen Wind und Wellen von hinten, Lisa steuerte und wir konnten draußen im Cockpit im Sonnenschein frühstücken. Wir haben zum Glück noch einen weiteren sicheren Temperaturindikator an Bord. Als Veganer essen wir gerne Kokosöl auf dem Brot, das bei “Zimmertemperatur” noch streichfähig ist. Wenn es — wie bisher — zu kalt ist, ist das Fett zu hart und man kann es nicht streichen. Bei sommerlicher Hitze wird es allerdings zu flüssig. Aber nun war es fast genau richtig, noch einen winzigen Tacken weicher, dann wäre es perfekt. Es ist ein ganz anderes Lebensgefühl, endlich die Wärme und die Sonne zu genießen. Allerdings aßen wir auch zum ersten Mal mit Antirutschmatten auf dem Tisch, denn ansonsten hätten sich Teller, Tassen und Marmelade vom Schaukeln selbständig gemacht.
Ab Donnerstag Nachmittag wurde der Wind noch einmal stärker und die Biskaya zeigte, dass sie auch anders kann. Bei 25 bis 28 Knoten Wind mussten wir ein Reff nach dem anderen machen, schließlich das Großsegel ganz wegnehmen und nur noch mit einer kleinen Genua über die Wellen rauschen. In der Nacht kam viel Seegang dazu und Wellen kamen über, bis gegen Morgen der Wind langsam weniger wurde und am Vormittag ganz einschlief. Wir konnten die Küste Galiciens schon sehen und tatsächlich sogar auch riechen, nur dorthin zu segeln, würde noch Stunden oder Tage dauern. Zwei Delfine begrüßten uns und schossen um den Bug herum, vollführten unter Wasser Pirouetten und zogen weiter. Später besuchte ein kleines, grünes Vögelchen furchtlos unser Schiff und hüpfte und pickte fast 20 Minuten zwischen uns auf dem Deck herum. Auf jedem Fall hat es zwei Spinnen und eine Fliege verzehrt, bevor es wieder in Richtung Galicien davonflog. Da der Wind nicht reichte, verbrachten wir die letzte Nacht in einer felsigen Ankerbucht. Frank ist bis zum Ufer und zurück geschwommen. Mir war das Wasser doch noch zu kalt, aber vom Ankermanöver unter Motor hatten wir warmes Wasser und ich duschte schön warm im Cockpit. Danach verbannten wir alle Skiunterwäsche, dicke Pullover und Socken in die schmutzige Wäsche und freuten uns über die spanische Wärme. Zum Frühstück am Samstag kochte ich Kaffee, da wir, wenn wir unterwegs sind, morgens Kaffee trinken, vor Ort im Hafen trinken wir Tee. Wir waren ja schließlich noch nicht am Zielort La Coruña angekommen. Allerdings hatte Frank schon am Ufer auf festem Grund gestanden und hätte somit Tee trinken müssen, während ich mich gewissermaßen noch auf der Überfahrt befand. Er meinte dann aber, er sei ja noch nicht aus dem Wasser heraus gewesen, deshalb war es also in Ordnung, zusammen Kaffee zu trinken.
Am Samstag, den 23.08.2019 segelten wir die letzten 12 sm nach La Coruña. Wir hatten wieder nur ganz wenig Wind, zwar von vorne, aber so dass wir anliegen konnten und den Stadthafen Marina Real glücklich am Nachmittag erreichten. Der Hafenmeister kam uns schon mit einem kleinen Motorboot entgegen und wies uns einen Platz am Ende des Steges zu. Die Segelyachten hier waren ausgestattet mit Windsteueranlagen, Maststufen, Solarpaneelen und Windgeneratoren auf Geräteträgern. An den Relingen trockneten Handtücher und Socken, bunte Bettlaken flatterten im Wind. Hier trafen sich die Fahrtenyachten, die einen auf dem Weg nach Norden über die Biskaya, die anderen nach Süden ins Mittelmeer und zu den Atlantikinseln. Und irgendwie gehörten wir tatsächlich dazu. Denn wer die Biskaya gemeistert hat, kann sich mit Fug und Recht als echten Fahrtensegler bezeichnen.
Sehr abwechslungsreich und spannend — Glückwunsch! Liebe Grüße, Dagmar